Um kurz nach halb zwei in der Nacht reißt ein schrilles Piepen Olaf Schmelz aus der Nachtruhe – eigentlich ist er bei der Firma Hitachi Zosen Inova BioMethan GmbH tätig und genießt regelmäßige Arbeitszeiten, doch ehrenamtlich ist er in der Freiwilligen Feuerwehr Zeven als Zugführer aktiv. „Einsatzalarm – Feuer 3, Wohnhausbrand, unklar ob Personen im Gebäude“ lautet die knappe Meldung auf seinem digitalen Funkmeldeempfänger. Sofort weiß er, es könnten Menschenleben in Gefahr sein. Schnell sucht er sich einige Klamotten zusammen und läuft zur Haustür.

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Die Freiwillige Feuerwehr Zeven verfügt über etwa 60 Mitglieder der Einsatzabteilung, aber auch über eine Kinderfeuerwehr mit etwa 20 sechs- bis zehnjährigen Kindern, eine Jugendfeuerwehr mit knapp 25 Jugendlichen zwischen 10 und 16 Jahren und schließlich der Altersabteilung, welcher Feuerwehrleute angehören, die das „Feuerwehr-Rentenalter“ von 63 Jahren erreicht haben.

 

Sven Müller, der stellvertretende Ortsbrandmeister ist im wahren Leben Hausmeister an einer Zevener Schule und läuft währenddessen zu seinem Auto. Mit dem Handfunkgerät nimmt er bereits mit der Rettungsleitstelle in Zeven Verbindung auf, vielleicht liegen weitere Informationen vor. Er entschließt sich, die Einsatzstelle direkt anzufahren, um sich so ein schnelles Lagebild zu verschaffen und die eintreffenden Einsatzkräfte schnell mit einem Auftrag zu versehen.

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Wenngleich der Name „Freiwillige Feuerwehr“ es ja bereits aussagt glauben noch viele Leute, dass sich permanent Feuerwehrleute im Feuerwehrhaus aufhalten und auf den nächsten Einsatz warten. Das ist natürlich nicht so, da dieses außergewöhnliche Hobby nur nebenbei betrieben wird. Geht eine Alarmierung ein, kommen die freiwilligen Helfer vom sonntäglichen Kaffeekränzchen, aus der Nachtruhe oder von ihrem Arbeitsplatz herbeigeeilt. Auch wenn die Rechtslage für Arbeitgeber hinsichtlich der Freistellung von freiwilligen Feuerwehrleuten eindeutig ist, so ist es dennoch äußerst lobenswert wenn sie ihren Ort hierdurch unterstützen. Schließlich geht es bei Feuerwehreinsätzen immer um die Gefahrenabwehr – häufig auch um Menschenleben. Dennoch tun sich einige Arbeitgeber schwer damit.

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Andre Rey, gelernter Metallbauer beim Zevener Unternehmen Fricke-Prüss Metallbau GmbH, wohnt etwas weiter vom Feuerwehrhaus entfernt und hat daher einen längeren Anfahrtsweg. Mit seinem Auto fährt er die vermeintlich schnellste Strecke zum Feuerwehrhaus. Während der Fahrt macht er sich bereits Gedanken was an der Einsatzstelle alles zu tun sei und was auf ihn zukommen könnte. Ein Lkw hält vor ihm an der roten Ampel – er spürt wie wertvolle Zeit vergeht und wartet ungeduldig auf die Weiterfahrt.

 

Die Feuerwehr wird immer gerne in einem Zug mit „anderen Vereinen“ genannt. Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass die Feuerwehr gar kein „Verein“ ist, sondern eine kommunale Behörde mit eben ehrenamtlichen Mitarbeitern. Der Ortsbrandmeister Jan Tobias Wendelken wird als Leiter der Feuerwehr daher auch offiziell zum Ehrenbeamten ernannt. Da die Ausrüstung, Ausbildung und Infrastruktur aus Steuermitteln finanziert wird, hat der Steuerzahler natürlich auch einen Anspruch darauf, dass die Feuerwehrleute fit für ihre Aufgaben sind. In Feuerwehrkreisen wird daher oft gescherzt, dass lediglich der Eintritt und Austritt freiwillig ist – alles andere ist Dienst und somit Pflicht.

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Olaf Schmelz wohnt in unmittelbarer Nähe zum Feuerwehrhaus und ist zügig vor Ort – schnell läuft er in die Umkleidekabine, zieht sich seine Schutzkleidung über und läuft mit seiner Ausrüstung in die Fahrzeughalle. Auf dem Fahrerplatz des Einsatzleitwagens (ELW) wartet bereits jemand und hat den Motor gestartet. Schmelz springt auf den Beifahrersitz und drückt am digitalen Funkgerät die Statustaste 3 „Einsatzübernahme“. Mit blitzendem Blaulicht und Martinhorn verlässt der Mercedes Sprinter die Fahrzeughalle und fährt Richtung Einsatzort.

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Um die neunköpfige Besatzung eines Löschgruppenfahrzeuges für einen Brandeinsatz zu qualifizieren sind allein knapp 1.600 Ausbildungsstunden in Lehrgangsform erforderlich. Dazu kommen noch etliche Stunden der Ausbildung und Inübunghaltung. Die Feuerwehreinsätze sind die Prüfungen des Erlernten, da bleibt keine Zeit mehr für Experimente. Jeder Handgriff muss sitzen – bei Dunkelheit, Müdigkeit und natürlich unter großem Zeitdruck. Auch Führungskräfte müssen die gleiche Arbeit leisten können wie ein Berufsfeuerwehrmann. Niemand würde qualitative Abstriche etwa bei der Menschenrettung hinnehmen, nur weil es sich um freiwillige Helfer handelt. Der Anspruch ist der Gleiche.

 

Sven Müller ist mittlerweile eingetroffen und gibt eine erste Lagemeldung an die Leitstelle durch: „Der Dachstuhl eines Wohngebäudes steht in Vollbrand, nach wie vor ist Unklar, ob sich Personen im Gebäude befinden“. Klar ist ihm hingegen, dass es eine lange Nacht wird.

 

Noch immer hält sich das Vorurteil, dass es in der Feuerwehr vor allem um das Gesellige geht und gelegentlich überreichen wohlmeinende Spender als Dank auch einmal eine Kiste Bier. Doch meist staubt diese im Feuerwehrhaus ein, denn die meisten kommen mit dem Auto zu den Übungsdiensten und sind durch zahlreiche Verkehrsunfälle äußerst sensibilisiert hinsichtlich der mitunter fatalen Kombination aus Fahren und Alkohol. Lediglich bei Festen und Feiern wird dann auch das Gesellige zelebriert – was wiederum für die Kameradschaft ungemein wichtig ist und bei Vereinen, Firmen und anderen Organisationen sicherlich auch nicht anders ist.

Andre Rey arbeitet sich weiter in Richtung Feuerwehrhaus vor. Auf der Anfahrt kommt ihm der Einsatzleitwagen und bereits das Löschgruppenfahrzeug LF 20/16 mit lauter Sirene entgegen – nur wenige Minuten sind seit der Alarmierung vergangen. Im Rückspiegel sieht er weitere Privatfahrzeuge, die es eilig zu haben scheinen – weitere Feuerwehrkameraden für die die Nacht vor einem weiteren Arbeitstag ebenfalls jäh zu Ende gegangen ist. Es sind nur noch wenige hundert Meter, dann erreicht auch Rey das Feuerwehrhaus.

Je nach Einsatzart ist die Ausrückreihenfolge der Feuerwehrfahrzeuge definiert – dies legt die sogenannte „Alarm- und Ausrückeordnung“ fest. Die eintreffenden Feuerwehrleute besetzen die Fahrzeuge in dieser Reihenfolge, bis diese schließlich voll besetzt sind und ausrücken.

 

Als Andre Rey das Feuerwehrhaus erreicht, ist der Parkplatz davor schon gut gefüllt. Schnell stellt er sein Fahrzeug ab und läuft in die Fahrzeughalle. Darin steht schon das halbbesetzte Löschgruppenfahrzeug LF 16/12 und die Drehleiter mit laufendem Motor und eingeschaltetem Blaulicht. Man spürt förmlich, dass sich die großen Fahrzeuge schnell auf den Weg machen wollen. Nachdem er seine Ausrüstung angelegt hat springt er in den Mannschaftsraum des Löschgruppenfahrzeuges und nimmt auf dem Sitz des Angriffstrupps Platz. Der Gruppenführer befiehlt vom Beifahrersitz, dass er sich gleich mit Atemschutz ausrüsten solle, der Vollbrand wurde bestätigt, es gibt viel zu tun. Die Drehleiter wurde mittlerweile voll besetzt und fährt mit aufheulendem Motor aus der Fahrzeughalle. Rey beginnt damit, das Atemschutzgerät anzulegen und sich für einen Innenangriff unter Atemschutz auszurüsten. Derweil springt ein weiterer Feuerwehrkamerad ins Fahrzeug, knallt die Tür zu und ruft nach vorne: „Voll!“. Der Gruppenführer drückt den Status „Einsatzübernahme“ und ruft zum Maschinisten „Abfahrt!“ - das LF 16/12 macht sich auf den Weg. Draußen fliegen dunkle Häuser am Fenster des Löschgruppenfahrzeuges vorbei, das Blaulicht reflektiert an Bäumen und Häusern und flößen der Szenerie eine weitere Dramatik ein. Über das Funkgerät sind weitere Lagemeldungen zu hören, der Gruppenführer ruft erste Befehle nach hinten. Rey ist derweil damit beschäftigt im engen, schaukelnden Auto sein Atemschutzgerät zu überprüfen und die lebenswichtige Ausrüstung korrekt anzulegen – seine Kameraden unterstützen ihn dabei. Als sie an der Einsatzstelle ankommen, ist Rey und sein Truppmitglied bereits vollständig ausgerüstet und sie können sofort nach Eintreffen des Fahrzeuges den Einsatzauftrag übernehmen. Harte körperliche Arbeit liegt vor ihnen, für die sie viel trainiert haben.

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Für diese 24/7-Bereitschaft und die Mühen ihrer Ausbildung erhalten die Feuerwehrleute kein Geld. Es ist das Interesse für Technik, die Herausforderung oder die Suche nach Verantwortung die sie antreibt. Es ist das tolle Gefühl, Menschen in Not helfen zu können oder durch das eigene Wirken im Team schlimme Gefahren abgewendet zu haben. Es ist die grenzenlose Dankbarkeit von den Menschen, denen in großer Not geholfen wurde. 80 fremde Menschen aus Zeven und den umliegenden Feuerwehren halfen bei diesem Brandeinsatz und „sind mitten in der Nacht für uns aufgestanden und waren innerhalb weniger Minuten da“, resümiert die sichtlich bewegte Bewohnerin des Hauses. So oder so ähnlich beginnen viele Einsätze der Feuerwehr Zeven – im vergangenen Jahr rückte die Feuerwehr fast 150 Mal aus. Fast jeden zweiten Tag.

 

Stunden später ist Olaf Schmelz wieder zu Hause. Erschöpft lässt er sich ins Bett fallen und schließt die Augen. In diesem Moment klingelt sein Wecker.

 

(Im gekürzten Zeitungsbericht wird zum o.g. Einsatzablauf fälschlicherweise von einer Übung gesprochen - das ist natürlich nicht der Fall. Einsatzübungen der Feuerwehr gehen nie zu Lasten der beruflichen Arbeitskraft ihrer Mitglieder und finden auch nicht nachts statt.)